Hausbesuche und Gedichte an der nächsten Straßenecke

Poesie im Kunstkiez Hausbesuche und Gedichte an der nächsten Straßenecke

„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Vater mit seinem Kind.“ – Wer kennt sie nicht, die Anfangsverse von Goethes Ballade Erlkönig. Heutzutage werden Gedichte oft mit verstaubten Büchern auf dem Dachboden oder Gedichtanalysen in Verbindung gebracht. „Poesie ist nicht etwas, was einem im Alltag begegnet“, erklärt der Bochumer Poetry-Slammer Sebastian 23. Genau das wollen die Poeten rund um den Kunstkiez Bärendorf ändern.

Dafür wollen sie Bewohner und Besucher des Quartiers Bärendorf in ihrem Alltag mit Poesie überraschen, auf einen lyrischen Spaziergang mitnehmen oder mit poetischen Hausbesuchen erfreuen.

Es ist kein Zufall, dass das Thema Poesie in Bärendorf an Bedeutung gewinnt, denn das Quartier, was sich entlang der Hattinger Straße zwischen der Kohlenstraße und der Knoopstraße befindet, ist seit einigen Jahren das Zuhause von vielen Schauspielern, Künstlern und Poeten in Bochum geworden. Unter anderem ist das dem Musiker und Eigentümer mehrerer Immobilien an der Hattinger Straße Palo Tomko zu verdanken, der bewusst seine Wohnungsanzeige an Kreative richtete. Daraufhin zog Uta Hoffmann mit ihrem Atelier in die Hattinger Straße 222 ein, und weitere Kreative folgten.

Die Idee zu dem Projekt „Poesie trifft Alltag“ stammt von der Slam-Poetin Theresa Hahl, die „die Poesie befreien und auf die Straße bringen möchte.“ Gemeinsam mit Sebastian 23, Elmar Josten und der Gemeinschaft um den Kunstkiez Bärendorf hat sie das Veranstaltungskonzept erarbeitet. Finanziell unterstützt wird das Projekt von Bochum Marketing mit 3.000 Euro, da die Idee im Rahmen des Stadtteilwettbewerbes 2018 prämiert wurde. Verschiedene poetische Aktionen und Veranstaltungsformate werden zwischen dem 4. Mai und dem 4. Juni im Kunstkiez angeboten. Ziel ist es,

durch interaktive Aktionen Nachbarn sowie Interessierte aus Bärendorf
zum Mitmachen zu animieren und gleichzeitig Menschen von außen auf die Attraktivität des Kunstkiezes aufmerksam zu machen.

Akordeon

Den Kick-Off am 4. Mai um 18 Uhr bildet eine gemeinsame Begehung der poetischen Spazierroute durch Bärendorf und der damit verbundenen Gedichte von Bochumer Künstlern (Treffpunkt: Haltestelle Kohlenstraße). Wer Lust hat, kann den poetischen Spaziergang aber auch für sich machen. Dafür werden alle Standorte mit den dazugehörigen Gedichten in einer Karte auf der Website dargestellt.

Beim Running Mic am 10. Mai von 14 bis 16 Uhr streifen mehrere Poeten durch die Geschäfte in Bärendorf und geben Passanten einen Einblick in ihr Können. Sie wollen den Alltag der Bewohner z. B. mit lyrischen Hörtests oder Haltestellenwartegedichten bereichern. Wer die Poesie lieber in den eigenen vier Wänden genießen möchte, kann sich über die Website Poeten nach Hause bestellen. Gemütlich von der Couch aus kann gemeinsam mit Familie oder Freunden den lyrischen Texten gelauscht werden (19. Mai, 14 bis 16 Uhr). Zum Abschluss treten am 4. Juni um 20 Uhr Poeten zu grooviger Jazz-Musik in der ehemaligen Zwieback-Bäckerei „Bakery“ (Hinterhof Hattinger Straße 218) auf.

Um nicht nur temporär das Quartier mit Poesie zu schmücken, werden die poetischen Texte auch auf Plakate und Flaggen gedruckt und in die Schaufenster der anliegenden Geschäfte gehängt. Ausgewählte Texte sollen auch in türkischer Sprache gedruckt werden, um so einen Beitrag zur Integration in Bärendorf zu leisten.

Gleichzeitig möchte Theresa vor allem junge Menschen für Poesie begeistern. Gemeinsam mit anderen Poeten werden Workshops in Schulen stattfinden, denn nur „durch das aktive Schreiben“ kann aus ihrer Sicht der Zugang zu Poesie gelingen. Am Ende des Tages wünscht sie sich, dass die Schüler sagen: „Huch, das war ein Gedicht? Das war ja gar nicht so schlimm.“

Charlotte Kreckel

Dieser Artikel ist in der BOMA-Ausgabe April 2019 erschienen.

Kiezpoesie Bärendorf

  • Ersteller:

    Dateiname: