Der Bahnhof Langendreer – fast 36 Jahre und kein bisschen leise

Das Juwel von Langendreer Der Bahnhof Langendreer – fast 36 Jahre und kein bisschen leise

Wenn jemand über einen Bahnhof sagt, er hätte „bewegte“ Zeiten hinter sich, denken die meisten wahrscheinlich an einen schlechten Scherz und dann an Lokomotiven, ICEs, verspätete S-Bahnen, Bahnstreiks … All das und noch viel mehr gilt für den Bahnhof Langendreer. Und alles Wissenswerte, Kuriose und Wundersame seiner Geschichte wurde im vergangenen Jahr zum 35-jährigen Jubiläum des Bahnhofes als soziokulturelles Zentrum im Rahmen eines Audiowalks zusammengetragen. An insgesamt 19 Stationen im und am Bahnhof haben Zeitzeugen sowie Mitarbeiter des Bahnhofes spannende Geschichten eingesprochen sowie die Entwicklung des Geländes nachvollzogen.

Das Gebäudeensemble, wie wir es heute kennen, wurde (ohne Scherz) am 1. April 1908 eröffnet. Man wollte für einen der größten Umsteigebahnhöfe Deutschlands ein neues repräsentatives Empfangsgebäude haben, und so baute die Preußische Landeseisenbahn drei wunderschöne Baukörper im modifizierten Jugendstil. 75 Jahre lang war der Bahnhof Langendreer in Betrieb, bevor im September 1983 der letzte Zug einfuhr, da der Bahnhof durch den Bau des S-Bahn-Haltepunktes überflüssig geworden war und schon seit 1982 kein Schnellzug mehr dort hielt. Das Gebäude wurde erstmal dem Verfall preisgegeben und der Abriss stand bevor, bis die autonome Szene Bochums darauf aufmerksam wurde.

Anfang der 1980er-Jahre gab es in Bochum wie auch in ganz Deutschland eine ganze Reihe von Haus- und Fabrikbesetzungen durch eine politisch und sozial engagierte Bewegung, die aus der Schüler- und Studentenszene heraus entstanden war. Es ging um bezahlbaren Wohnraum und vor allem um einen Treffpunkt für junge Menschen, was von Seiten der Stadt allerdings damals nicht gewollt war. Nachdem sowohl die von der Bewegung besetzte alte Mensa der Ruhr-Universität und später auch die alte Fabrik an der Hermannshöhe von der Polizei geräumt worden waren, kamen tatsächlich erste Gespräche mit der Stadt zustande. Von den Besetzern gewünscht war ein autonomes Jugendzentrum, selbst verwaltet und finanziert. Schließlich kam der mittlerweile leerstehende Bahnhof Langendreer ins Spiel. Zusammen mit dem Bochumer Christoph Zöpel, der zu der Zeit Landesminister für Stadtentwicklung war, wurde schließlich mithilfe eines Städtebauförderungsprogrammes die Finanzierung des Umbaus gesichert.

Dafür wurde der Bahnhof von der Stadt erworben, unter Denkmalschutz gestellt und der mittlerweile gegründeten Initiative Bochum Langendreer e. V. für einen symbolischen Mietpreis von 1 DM übergeben unter der Bedingung, dass die Initiative den Bahnhof eigenständig renoviert und dass daraus ein soziokulturelles Zentrum entsteht. Zwei Jahre lang arbeiteten die Mitglieder sowie Helfer aus dem In- und Ausland, etwa im Rahmen von Workcamps internationaler Jugendverbände, an dem Gebäude, rissen Wände ein, verluden Schutt, legten Leitungen und schufen so den Raum der Begegnung, wie wir ihn kennen. Und der ist sehr breit aufgestellt.

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Die Finanzierung läuft neben Fördermitteln vor allem über den Getränkeverkauf bei Comedy- und Musikveranstaltungen sowie den diversen Partyformaten (wir lassen an dieser Stelle Corona mal bewusst außen vor …). Daneben werden die Räumlichkeiten in den oberen Etagen aber kostenlos zur Verfügung gestellt für kulturelle, soziale und politische Initiativen sowie integrative Vereine. Zudem gibt es das Programmkino endstation.kino, politische Lesungen und Vorträge und ganz viel Weltmusik.

Die ungewöhnliche Musikauswahl sowie das Konzept des Bahnhofs sind übrigens auch dem WDR aufgefallen. Im Rahmen der Reihe „global sounds“ gibt es schon seit Längerem eine Kooperation mit dem WDR-Radiosender Cosmo, und jetzt erhielt der Bahnhof Langendreer sogar den Ehrenpreis des WDR-Jazzpreises, der im Juni 2022 in Gütersloh feierlich verliehen wird. Ausschlag dafür gab neben der internationalen Musik auch die Verbindung von Soziokultur und Politik sowie der Aspekt der Selbstverwaltung. Denn tatsächlich wird der Bahnhof Langendreer e. V. im Kollektiv verwaltet ohne hierarchische Strukturen. Und ja, das führte früher wöchentlich zu stundenlangen Diskussionen, mittlerweile sind die einzelnen Bereiche aber autark, und nur die übergeordneten Fragen werden zur Debatte gestellt.

Natürlich weiß niemand genau, wie es in den kommenden Monaten weitergeht, denn coronabedingt mussten und müssen viele Veranstaltungen ausfallen oder verlegt werden. Aber die Hoffnung ruht auf dem (Früh-)Sommer. Hier plant der Bahnhof Langendreer wieder Ruhr International am 28. und 29. Mai an der Jahrhunderthalle Bochum sowie die Odyssee an drei Samstagen im Juli auf der Freilichtbühne Wattenscheid. Und nachdem das 35-jährige Jubiläum im vorigen Jahr nicht gefeiert werden konnte, soll dies am 9. Juli im und am Bahnhof nachgeholt werden. Eine schöne Gelegenheit, um sich dem Audiowalk mal näher zu widmen. Und dann ist hoffentlich auch die neue Gastronomie „Richtig gutes Zeuch“ im Bahnhof wieder offen.

 

Bettina Kersting

Dieser Artikel ist in der BOMA-Ausgabe März 2022 erschienen.

Bahnhof Langendreer

Wallbaumweg 108
44894 Bochum
 

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